Gezielte Nachwuchsförderung, der Brückenschlag vom Fachkräftemangel zum Wunschbetrieb

 

 

 

In meinem Job als Trainerin beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema, welche berufsübergreifenden Kompetenzen für eine profunde Ausbildung wichtig sind. In diesem Zusammenhang recherchiere ich seit geraumer Zeit, wie sich der Lernort Betrieb für Ausbildung und Duales Studium entwickelt. Dabei wurde mir – spätestens als meine Kinder vor der Entscheidung standen, in welcher beruflichen Richtung sie weitermachen möchten – unweigerlich klar, wie sehr sich die Berufswelt seit meiner eignen Ausbildung gewandelt hat.

Beispiele gibt es genügend: Müllerinnen und Müller firmieren jetzt unter der Bezeichnung „Verfahrenstechnologe/in Mühlen- und Getreidewirtschaft“. In der Orthopädietechnik können Körperteile digital erfasst und nachgebildet werden, Gipsabdrücke werden überflüssig. Und Maßschneiderinnen und Maßschneider sind längst nicht mehr aufs Zentimetermaß angewiesen, sondern können ihre Kundinnen und Kunden mit einem digitalen Bodyscanner vermessen.

Nicht nur die Arbeitswelt hat sich rasant verändert und mit ihr die Anforderungen an Fachkräfte. Auch die Erwartungen der heutigen Berufseinsteiger haben sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Schlagwörter wie Azubimangel, Passungsprobleme sowie Verstehen und Führen der Generation Z sind – neben dem Dauerbrenner Facharbeiterlücke droht – regelmäßig in personalwirtschaftlichen Medien und Fachzeitschriften zu lesen.

In diesem Artikel gebe ich Ihnen einen Überblick zu aktuellen Jugendstudien sowie eine eigene Einschätzung der Zusammenhänge.

 

Herausforderung Ausbildungsmarkt

Die Nachfrage von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach Ausbildungsstellen und die Zahl der von Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze sind nach wie vor hoch (BiBB Datenreport 2019). Allerdings haben sich die Besetzungsprobleme am Ausbildungsstellenmarkt gegenüber den vorangegangenen Jahren weiter verschärft.

 Woran liegt das? Trotz weiterhin guter Konjunktur, vieler Aufträge und guter Berufsaussichten hat die Zahl der Auszubildenden in den letzten Jahren stetig abgenommen. Die Ursachen für diesen Trend sind vielfältig. Bedingt durch den demographischen Wandel sinken die Schülerzahlen. Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren bei den Schulabgängern der Drang zum Studium verstärkte. Dies ist auf ein gesellschaftliches Klima zurückzuführen, in dem nach der öffentlichen Wahrnehmung viele Ausbildungsberufe an Attraktivität verloren haben. Eine anhaltende Meinung besagt, dass der akademische Weg besser sei und die Berufsausbildung nur zweitklassig.

Insbesondere durch die Digitalisierung wandelt sich die Berufswelt immerzu, einige Berufe werden neugeordnet, andere aufgehoben. Wen wundert‘s, dass Jugendliche bei diesen rasanten Veränderungen gewisse Branchen oder Tätigkeiten schlicht nicht auf dem Schirm haben!

Viele fühlen sich durch die beschriebenen Entwicklungen auch einfach überfordert, nach Abschluss der Schule die nächsten Schritte im Lebenslauf zu planen und die berufliche Ausrichtung festzulegen. Es fehlen ihnen die Maßstäbe und Kriterien, um angesichts der schnellen technischen und sozialen Veränderungen klare Entscheidungen zu treffen. Sie leiden, so paradox es klingt, an zu vielen Optionen: Sie fühlen sich überwältigt von der Wahl zwischen fast 400 Ausbildungswegen im dualen System und fast 12.000 Bachelorstudiengängen an den Fachhochschulen, dualen Hochschulen und Universitäten.

Unternehmen, vor allem Klein-/ Kleinstbetriebe, stehen hingegen vor ganz anderen Herausforderungen. Diese leiden häufig unter hohem wirtschaftlichem Druck und haben wenige finanzielle und personelle Freiräume, um in die Gestaltung der Ausbildung zu investieren. Der Auszubildende erlebt hierbei den Betrieb oft eher als Beschäftigungsort denn als Lernort.

 

Gefahren einer Fehlentwicklung

Jedem dürfte klar sein, was diese Entwicklung für ein Unternehmen bedeuten kann:

  • Keine Auszubildenden – kein Nachwuchs im Betrieb
  • Kein Nachwuchs – keine Fachkräfte für den eigenen Bedarf
  • Keine Fachkräfte – kein Wachstum und folglich wirtschaftliche Einbußen

Aber auch Betriebe, die es geschafft haben, alle Ausbildungsplätze zu besetzen, dürfen sich nicht zu 100% in Sicherheit wiegen. Rund ein Viertel der Ausbildungsverträge wird vor Ablauf aufgelöst (Berufsbildungsbericht 2019)

Daraus entstehen neben dem Ärger massive Kosten und Verluste. Durch einen möglichen Wechsel in einen anderen Betrieb, sprich zur Konkurrenz, gehen nicht nur Fachkräfte für den eigenen Bedarf verloren, auch der Verlust an unternehmensspezifischem Fachwissen ist ärgerlich.

Was folgt sind hohe Rekrutierungskosten und erneuter Zeitaufwand für Einarbeitung und Eingliederung in die betrieblichen Abläufe.

Nicht unerheblich ist zudem der negative emotionale Effekt, der in der Zeitspanne zwischen innerer Kündigung und tatsächlichem Austritt entsteht. Hier kommt es häufig zu einem angespannten Verhältnis zwischen Ausbilder und seinem Azubi. Demzufolge sind weder die Ausbildungsleistung des Betriebes noch die Lernleistung des Auszubildenden gewährleistet.

Nicht zuletzt können Ausbildungsabbrüche einen Imageverlust hervorrufen – innerhalb des Unternehmens aber auch beim Kunden.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist es also überaus sinnvoll, dass dem Ausbildungsbetrieb die neuen Azubis erhalten bleiben.

 

Betriebsbezogene Gründe für Ausbildungsabbrüche

Die IHK Osnabrück-Emsland hat vor einiger Zeit in einer Studie das Phänomen der Ausbildungsabbrüche untersucht. Dabei stellten die Studienautoren fest, dass die von Unternehmen und Jugendlichen genannten Gründe für Ausbildungsabbrüche stark auseinander gehen.

Viele der anonym befragten Jugendlichen gaben betriebsbezogene Auslöser an, die zum Abbruch ihrer Ausbildung geführt haben. Dabei sind es vor allem drei Gründe, die den Ausschlag gegeben haben: Kommunikationsprobleme und Betriebsklima; Beschäftigung statt Ausbildung; Ausbildungsqualität. Eine große Gewichtung (40 %) haben laut der Umfrage „Konflikte mit Ausbildern, Meistern und Chefs“. Die Ausbilder hingegen sahen „Probleme zwischen Ausbilder und Azubi“ eher am Rande als ursächlich für Ausbildungsabbrüche (8 %). Aus ihrer Sicht sind es vor allem berufliche Gründe, die zum Bruch führen: unzureichende Eignung/ falsche Berufsvorstellung. Sie führen überwiegend mangelnde Leistungen an und geben an, dass der Azubi hinter den Erwartungen zurückblieb.

Diese Diskrepanz lässt aufschauen und lädt ein, mal in sich zu gehen und das eigene Verhalten zu reflektieren. Es wäre sicherlich in beiderseitigem Interesse und von großem Vorteil, wenn sich hier die Blickwinkel annähern könnten.

 

Gegenmaßnahmen oder

Die Kunst den Auszubildenden zu halten

Es gibt zahlreiche Maßnahmen, die dazu führen das eigene Unternehmen attraktiv für den Ausbildungsmarkt zu machen. Experten für Azubi-Marketing und ausführliche Artikel in der Fachpresse unterstützen hier mit Tipps und Anleitungen maßgeblich.

Doch wie geht’s dann weiter? Wie kann die Begeisterung für den Betrieb geweckt werden? Wie können die Auszubildenden bei der Stange gehalten und frühzeitig ans Unternehmen gebunden werden, damit sie die Fachkräfte von morgen werden?

Dazu muss man sich erstmal klar werden, mit wem man es eigentlich zu tun hat. Die heutigen jungen Erwachsenen haben sich genauso verändert wie die Arbeitssituationen auch. Jede Generation entwickelt Charakterzüge, die aus neuen Gegebenheiten und Möglichkeiten resultieren. Wir jeweils „Älteren“ müssen uns dessen bewusst sein, denn in gewisser Weise haben wir durch Erziehung und Vorleben selbst zu diesem Heranwachsen beigetragen.

Die Altersgruppe, die jetzt in den Ausbildungsstartlöchern steht, ist die der Jahrgänge ab etwa 2000, die so genannte Generation Z. Für ein gelungenes Miteinander und gegenseitiges Verstehen lohnt es auf jeden Fall, sich mit den Besonderheiten und Merkmalen der Digitalen Generation auseinander zu setzen.

Sind diese Berufseinsteiger tatsächlich die verwöhnten, selbstbezogenen und konsumorientierten digitalen Zombies, die permanentes positives Feedback gewohnt sind, einen klaren Cut zwischen Arbeit und Freizeit machen und ein sehr geringes Ausmaß an Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber haben? Oder doch individualistische, verantwortungs- und selbstbewusste Digital Natives, die alles hinterfragen sowie realistisch und pragmatisch in die Zukunft blicken – die Heilsbringer für eine moderne Arbeitswelt?

Im Vergleich zu den vorangehenden Generationen, die durch ihren Idealismus, eine skeptische Einstellung oder auch einem ausgeprägten Optimismus gekennzeichnet waren, zählt für die Generation Z nur das Wirkliche. In ihrer Kindheit/ Jugend haben sie Krisen wie verkorkste Bildungsprozesse (z.B. Bologna-Reform), Klimawandel, politische Perspektivenlosigkeit, Massenentlassungen durch Digitalisierung erlebt. Durch diese Erfahrungen haben sie gelernt, überzogenen Versprechungen nicht blind zu vertrauen, sondern Bestehendes kritisch zu hinterfragen. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen haben sie ein gutes Gespür dafür entwickelt, was für sie erreichbar ist und sehen überwiegend zuversichtlich dem Kommenden entgegen.

 

Beziehungsarbeit im Unternehmen

Das Bewusstsein darüber ist der Ansatz, um Beziehungsarbeit zu leisten. Nun können Anknüpfungspunkte erkannt werden und Bedürfnisse in Einklang gebracht werden. Das heißt für mich allerdings nicht, dass sich alles nach der jungen Generation richten muss und jeder Ausbildungsbeauftragter ein Seminar „Wie tickt die Generation Z?“ besuchen muss. Nein – ideal wäre es, wenn sich beide Seiten gleichermaßen annähern würden. Das Wissen um die unterschiedlichen Werte der jeweiligen Generation und die Toleranz diese anzuerkennen bringt die eigentliche Bereicherung für die Unternehmenskultur.

Diese Gedanken im Hinterkopf und eine offene Kommunikation darüber bilden schon mal eine gute Basis für die Bindung ans Unternehmen.

Abgesehen davon ist es heutzutage immens wichtig, die jungen Leute nicht nur in fachlicher Hinsicht auszubilden. Durch ihr Aufwachsen in einer digitalen Welt bringen sie einerseits wertvolles Kapital mit: Der offene, unbefangene, neugierige Umgang mit allem Digitalem. Andererseits dürfen auch die ungünstigen Folgen nicht übersehen werden. Die Fähigkeit sich zu konzentrieren sowie Ausdauer und Kontaktfähigkeit sind oftmals eingeschränkt. Viele sind schnell abgelenkt und durch die permanenten virtuellen Umgangsformen in den Netzwerken nicht mehr gewohnt, sich in realen sozialen Situationen angemessen zu verhalten.

So gut sich die Z-ler in der digitalen Welt auskennen, so unsicher fühlen sie sich im persönlichen Kontakt.

Die Potenziale der jungen Leute erkennen, ihre Stärken fördern und ihre Schwächen ausgleichen – das ist sicherlich die nächste große Herausforderung auf dem Weg zur Bindung ans Unternehmen.

 

Kompetenzentwicklung in der Ausbildung

Das Schlagwort hierbei ist Handlungskompetenz. Was genau verbirgt sich dahinter?

Welche fachlichen und nichtfachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten sind die „Schlüssel“ zur erfolgreichen Bewältigung der vielfältigen Aufgaben in der Wirtschaft, aber auch im privaten Umfeld?

Alle Fähigkeiten und Qualifikationen, die für die Berufsausbildung wichtig sind, aber über das reine Fachwissen hinausgehen, werden als Schlüsselkompetenzen bezeichnet (z.B. Allgemeinbildung, Interkulturelle Kompetenz, Lerntechnik, Teamfähigkeit, Selbstsicherheit, …).

Die Frage, welche Fähigkeiten am wichtigsten sind, kann allerdings nicht generell beantwortet werden. Je nach Branche, Betrieb und Funktion ist ihre Bedeutung unterschiedlich gewichtet. Hier gilt das Motto: Eine gute Mischung macht’s!

Schlüsselkompetenzen lassen sich in vier Bereiche gliedern: Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Persönliche Kompetenz. Alle vier Bereiche gemeinsam ermöglichen erst die berufliche Handlungskompetenz!

Erst wenn jemand Fachwissen (= Fachkompetenz) nicht nur besitzt, sondern dieses Wissen auch engagiert und zielorientiert (= Persönliche Kompetenz) in einer für andere verständlichen Form (= Methodenkompetenz) in sein Team einbringen kann (= Sozialkompetenz) ist im Beruf voll einsatzfähig (= Handlungskompetenz).

 

Schlüsselerlebnisse führen zu Schlüsselkompetenzen

Die betriebliche Ausbildung ist geradezu prädestiniert, um Schlüsselkompetenzen zu vermitteln. Durch das learning by doing -Prinzip in der beruflichen Realität können diese Fähigkeiten nämlich am besten geschult werden. Teamgeist erfährt man am effektivsten durch das Arbeiten in einem Team; Problemlösekompetenzen erwirbt man am ehesten durch Praxis – und nicht aus einem Buch oder durch theoretische Erklärungen im Unterricht.

Allerdings lässt sich der Lernfortschritt nicht erzwingen. Bei der Vermittlung von solchen Fähigkeiten und Qualifikationen ist man immer auf die Bereitschaft und Mitarbeit der Auszubildenden selbst angewiesen. Schlüsselkompetenzen können daher nicht „erzeugt“, sondern nur „ermöglicht“ werden.

Hinsichtlich der Methodik bietet die Ausbildung zahlreiche Anknüpfungspunkte für den Erwerb von Schlüsselkompetenzen, wobei theoretische Maßnahmen (Vortrag/ Buch) nicht unbedingt zielführend sind. Besser geeignet sind aktivierende Methoden, bei denen die Auszubildenden nicht passiv zuschauen, sondern aktiv mitarbeiten.

 

Sage es mir und ich werde es vergessen.

Zeige es mir und ich werde mich daran erinnern.

Lass es mich tun und ich werde es verstehen.

Dieses Zitat zeigt, dass Konfuzius seinerzeit schon erkannt hat, was Gedächtnisforscher heutzutage herausgefunden haben: 90 % von dem, was wir tun, bleibt im Gedächtnis, aber nur 30 % von dem, was wir sehen und nur 20 % von dem, was wir hören.

Erlebnisaktivierende Methoden gehören genauso zu meinem Schulungspaket. Ich sehe meine Arbeit als Ergänzung zur betrieblichen Ausbildung und trete auf den Plan, wenn bestimmte Kompetenzen gezielt gefördert werden sollen. Dabei agiere ich vorwiegend in der Natur. Der krasse Perspektivwechsel Wald versus Betrieb bewirkt oftmals die nötige Erkenntnis für den andern Blick auf das Ganze und motiviert die Erfahrung in den Berufsalltag zu übertragen.

 

Machen Sie sich zum Wunschbetrieb

Gründe für Unternehmen auf Schlüsselkompetenzen bei ihren Azubis und Dualen Studenten zu setzen liegen auf der Hand. Auszubildende mit Handlungskompetenz werden zu verantwortungsvollen Mitarbeitern. Ein Plus an Verantwortung steigert die Motivation bei der Arbeit.

Motivation fördert die Bindung ans Unternehmen. Auszubildende, die nach Abschluss zu Mitarbeitern werden, sichern die Qualität und Entwicklung des Unternehmens. Sie kennen Kultur, Philosophie, Abläufe und Prozesse des Betriebes. Die Einarbeitungszeit entfällt. Ehemalige Azubis sind im Betrieb bekannt und können schneller sozial ins Team integriert werden, was sich positiv aufs Arbeitsklima auswirkt.

Auszubildende sind heute wertvoller als jemals zuvor. Sie bilden das Zukunftspotenzial eines Unternehmens. Sie als Ausbilder leisten nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung junger Menschen, sondern schaffen ihrem Betrieb damit auch wichtige Wettbewerbsvorteile. Handlungskompetente Lehrlinge sind nicht nur fachlich top, sie können sich auch rasch auf neue wirtschaftliche Situationen einstellen und komplexe Anforderungen meistern.

 

Werden Sie der Wunschbetrieb, über den die Jugendlichen sagen: Hier bekomme ich nicht nur Fachwissen vermittelt, sondern lerne auch etwas für mich und für mein zukünftiges Leben!

 

Quellen:
BiBB 2019
IBB Studie IHK Emsland
Shell Jugendstudie 2019
Kring/ Hurrelmann: Die Generation Z erfolgreich gewinnen, führen, binden