TH Rosenheim:
Im Dezember 2020 präsentierten drei Studentinnen (Studienfach Informatik) ihre Seminararbeit im Fach Spezielle Betriebswirtschaftslehre. Im Rahmen dessen sollten sie einen Gastvortragenden akquirieren. Diese Rolle habe ich gerne übernommen. 

Als ich einige Wochen zuvor die Anfrage der drei Studentinnen bekam und die Überschrift las ‚Interne Unternehmenskommunikation im Zeitalter der digitalen Transformation‘ schoss mir ein „WOW“ durch den Kopf: Donnerwetter, was für ein Titel! Könnte ich dazu überhaupt irgendetwas sinnvoll Passendes beitragen?

Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto spannender wurde das Thema. Letztendlich war die große Herausforderung – neben der Tatsache, dass das Ganze online stattfand – die vorgegebenen 30 Minuten nicht zu überschreiten.

Ich entschied mich über folgendes Thema zu referieren:

 

Psychosoziale Wirkung der digitalen Kommunikation auf Teams und deren Mitglieder

Vortrag:

In den nächsten Minuten möchte ich Sie einladen an meinen Gedanken zu diesem Thema teilzuhaben, und zwar dazu, welche psychosoziale Wirkung die zunehmend digitale Kommunikation auf Teams und deren Mitglieder hat.

Für meine Überlegungen habe ich recherchiert, ob es nach gut 8 Monaten Corona Stimmungsbilder gibt, wie einzelne Teammitglieder mit der aktuellen Situation in ihren Unternehmen zurechtkommen. Da gibt es mittlerweile einige. Diese Erkenntnisse sowie Gespräche mit Kollegen und Bekannten ließen mich folgende These formulieren:

 

Zwischenmenschlicher Präsenzkontakt ist nicht ersetzbar

 

Als Kommunikationstrainerin, die in erster Linie in der Natur arbeitet und stark auf erlebnisorientierte Methoden setzt, habe ich prinzipiell ein eher ambivalentes Verhältnis zu reinen Online-Veranstaltungen.

Allerdings werden deutsche Unternehmen immer digitaler. Manche, weil sie es wollen (z.B. wegen flexibleren Arbeitsmöglichkeiten, schnellere Kommunikation, leichtere Datenhaltung), die meisten, weil sie es akut müssen – wie jetzt in Zeiten von Corona.

 

VUCA WELT
AGILITÄT

Schlagartig und vielleicht unverhofft sind einige Betriebe in der sogenannten VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) gelandet, der Welt der schnellen Veränderungen und Unsicherheiten. Die Unternehmen waren von jetzt auf gleich gezwungen sich so aufzustellen, dass sie mit ständig neuen Einflüssen, wechselnden Anforderungen und mit unklaren zukünftigen Zielen umgehen können.

Ein anderes Schlagwort in diesem Zusammenhang ist Agilität. Ursprünglich kommt der Begriff der IT-Branche, Stichwort Agiles Manifest.

Inzwischen identifizieren sich jedoch zahlreiche Unternehmen mit dieser Haltung und implementieren Agiles Management als Führungsmethode. Dabei geht es vor allem Aspekte wie Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit. Aber auch ein agiles Mindset und die Konzentration auf den Kunden nehmen einen wichtigen Part ein. Im täglichen Umgang funktioniert all das, wenn sich alle untereinander und miteinander abstimmen.

 

Was bedeutet das nun für unsere Kommunikation?

KOMMUNIKATION ANALOG

 

Wenn wir Menschen kommunizieren und Informationen empfangen, dann orientieren wir uns in erster Linie am gesprochenen Wort. Darüber hinaus nützen wir Mimik, Gestik und Tonfall unseres Gesprächspartners, um möglichst schnell zu deuten, wie das Gesagte gemeint sein kann. Das mit der Deutung ist übrigens eine der größten Herausforderungen in der Kommunikation. Und ganz oft die Quelle für Missverständnisse.

KOMMUNIKATION DIGITAL

 

In der digitalen Kommunikation fallen die Interpretationshilfen Mimik, Gestik, Tonfall teilweise weg, bzw. werden gedämpft. Bildschirme fungieren ähnlich wie Filter, die das Durchdringen von Botschaften erschweren oder sogar verhindern.

Nehmen wir das Beispiel einer Email. Wie formuliere ich die Nachricht, so dass der Tonfall angemessen ist und der Text „richtig“ verstanden wird? Soll beispielsweise der „Arbeitsauftrag des Chefs“ als Forderung, als Bitte, als Wunsch oder als Anordnung gehört werden? Plötzlich kommt es auf jedes einzelne geschriebene Wort an.  

Was wird noch durch diese Bildschirmfilter erschwert bzw. verhindert?

Das ist ganz klar das persönliche reale Miteinander, die Möglichkeit auf Beziehungsebene miteinander in Kontakt zu kommen.

VERTRAUEN
KRATIVITÄT
TEAMSPIRIT

Gerade in der agilen Teamarbeit gibt es bestimmte Grundwerte, die durch genau diesen Umstand beeinträchtigt werden. Dazu zählt insbesondere Vertrauen.

 Beim Thema Agilität geht es in erster Linie um Menschen und die Zusammenarbeit mit ihnen. Agilität braucht eine Kultur des Vertrauens. Vertrauen entsteht am ehesten durch physische Nähe.

Überlegen Sie mal: Wenn man „sich persönlich kennengelernt hat, sich beschnuppert und ‚begriffen‘ hat“ entwickelt man Vertrauen zueinander. Dann kann man auch virtuell gut zusammenarbeiten. Wen man hingegen noch nie real getroffen hat, bei dem ist man vorsichtiger.

Die Relevanz von Vertrauen in Bezug auf Remote-Arbeit zeigt sich sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Führungskräften. Die einen müssen darauf vertrauen, dass mit ihren Ängsten, Nöten sorgsam umgegangen wird. Die anderen müssen ein Stück weit Kontrolle abgeben und ein gesundes Maß finden zwischen Hinschauen und Helikoptern.

Ein weiterer Wert, der – wie ich finde – ähnlich von der aufoktroyierten Distanz betroffen ist, ist die Kreativität.

Inspiration und Kreativsein entstehen am besten durch unkomplizierten Austausch. Wenn man seine Gedankenrohlinge mit anderen teilt, wird jede Idee doch besser und jeder Arbeitsschritt schlauer.

Jetzt in Zeiten von Corona wurden die meisten persönlichen Kontaktmöglichkeiten sehr stark beschränkt.

Kein Kaffeeküchen-Brainstorming mit Whiteboards zum Rumkritzeln; keine kurzen Flurplaudereien oder Randgespräche in Meetingpausen; keine Blödeleien beim Mittagessen, Geburtstagsrituale. All das fehlt momentan.

Die Leichtigkeit und von spontanen Gesprächen hat einen Dämpfer bekommen, „Austausch findet nur noch nach Absprache statt“; haptische Hilfsmittel zur Visualisierung werden kaum mehr verwendet.

In Unternehmen wird zwar mittlerweile auf vielfache Weise versucht den Beziehungsaufbau und das Kreativsein auch virtuell hinzubekommen. Das ist sicherlich besser als nichts, doch Distanz sorgt schlicht für Ferne.

An räumlich getrennten Arbeitsplätzen muss jeder Einzelne weitaus mehr Eigeninitiative und Selbstorganisation einbringen, um den Teamspirit/ die Kohäsion zu halten

Wie erreicht man einen stimmigen Kontakt und sozialen Umgang? Wie lassen sich die Chancen für eine gute zwischenmenschliche Beziehung erhöhen?

Dafür lohnt es sich mal anzuschauen, was alles gleichzeitig passiert, wenn Menschen miteinander sprechen. Dann nämlich können wir verstehen, warum es überhaupt diese vielfältigen Möglichkeiten für Störungen, Irritationen und Missverständnisse gibt.

Das Kommunikationsquadrat von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun ist ein Modell, das genau dazu dient.

Schauen wir uns ein Beispiel an:

KOMMUNIKATIONSQUADRAT

 

Stellen wir uns folgende Situation vor: Es treffen sich zwei Kollegen auf dem Flur. Peter sagt zu Tom: „Ich habe gehört, du bist heute ausnahmsweise mal da!“

Was möchte Peter damit sagen? Wie ist diese Äußerung zu verstehen? Und wie wäre eine angemessene Reaktion von Tom?

Das lässt sich so schnell nicht beantworten. Würde ich jeden von Ihnen einzeln befragen, wie die Äußerung von Peter gemeint sein könnte, würde ich höchstwahrscheinlich diverse Antworten erhalten. Und alle sind „richtig“. Das ist das Schwierige an der Kommunikation.

 

VIER BOTSCHAFTEN

 

Wenn ich als Mensch etwas von mir gebe, bin ich auf vierfache Weise wirksam. Jede meine Äußerungen enthält, ob ich will oder nicht, vier Botschaften gleichzeitig:

  • Eine Sachinformation (worüber ich informiere)
  • Eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe)
  • Einen Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe)
  • Einen Appell (was ich bei dir erreichen möchte)

Meist wird nur ein Aspekt der Äußerung explizit, also offensichtlich, ausgedrückt. Die anderen drei Anteile einer Botschaft werden implizit, gewissermaßen unter der Wasseroberfläche, mitgeschickt.

 

Ausgehend von dieser Erkenntnis hat Schulz von Thun die vier Seiten einer Äußerung als Quadrat dargestellt.

KOMMUNKATIONSQUADRAT SENDER EMPFÄNGER

 

Der Sender mit seinen „vier Schnäbeln“ schickt die Äußerung los, der Empfänger mit „vier Ohren“ entschlüsselt diese.

Sowohl Sender als auch Empfänger sind für die Qualität der Kommunikation verantwortlich. Wobei man sagen muss: Die unmissverständliche Kommunikation ist der Idealfall und nicht die Regel.

Berufliche Kommunikation findet in den meisten Bereichen/ Branchen mit dem Schwerpunkt auf der Sachebene und Appellebene statt. Dies gilt sowohl analog als auch digital, jedoch im Digitalen umso deutlicher.

Im Digitalen werden Nachrichten stark auf den Informationsgehalt reduziert. Hinweise über das persönliche Empfinden oder die Beziehungsebene der jeweiligen Seite kommen nur eingeschränkt an. Das heißt, der Interpretationsspielraum steigt.

Teams, die ausschließlich auf Sachebene kommunizieren laufen Gefahr, dass sich Unausgesprochenes lang anstaut. Die entstehenden Irritationen lösen leichter Konflikte aus, was wiederum zu einer Verschlechterung des Arbeitsklimas führt.

Langfristig liegt also die große Challenge darin, die Bildschirmfilter durchlässiger zu machen.

BILDSCHIRMFILTER

 

Führungskräfte und Teamleader sind gefordert ein Bewusstsein dafür entwickeln die feinen Stimmen wahrzunehmen, die nur gedämpft durch den Bildschirm kommen.

MODERATOR

Deswegen bekommen meiner Meinung nach Moderatoren bzw. Hosts von virtuellen Meetings eine immer bedeutendere und anspruchsvollere Rolle. Sie müssen rechtzeitig bemerken, wenn beispielsweise stillere Kollegen in Anonymität/ Isolation abdriften. Sie müssen für das richtige Maß sorgen, damit dominante und introvertierte Kollegen gleichermaßen Beachtung finden.

 

Für diese Schlüsselrolle sollten sie emotional aufnahmebereit sein. Zudem wäre es hilfreich, wenn sie sich zumindest ansatzweise mit der Psychologie der Kommunikation auseinandergesetzt und sie verstanden haben.

Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Arbeitswelt gilt es eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder Einzelne als Mensch sichtbar werden kann.

Werte wie Respekt und das Schaffen von Vertrauen müssen gelebt werden. Das Zusammengehörigkeitsgefühl auf der „gelben“ Seite (Beziehung) muss gestärkt werden. Nur so kann es gelingen, dass die Mannschaft langfristig leistungsfähig bleibt.

Immer mehr Unternehmen haben die Sehnsucht vieler Mitarbeiter nach physischer Nähe erkannt und sprechen sich inzwischen gegen ein dauerhaftes Homeoffice aus.

UNTERNEHMENSSTIMMEN

Kasper Rorsted, Manager von Adidas, hält längerfristiges Arbeiten im Homeoffice für kein menschlich sinnvolles Modell.

Hilde van der Pijl, agile Business Coachin bei Yello Strom, sagt, dass persönliche Begegnungen auch durch die besten digitalen Hilfsmittel nicht ersetzt werden können.

 Auch die obere Führungsebene des Technikkonzerns Apple strebt eine vollständige Rückkehr in die Büros an, sobald es die Pandemie erlaubt (Homeoffice ist möglich, wird jedoch eher als Ausnahme betrachtet).

In einer Umfrage des Coworking-Space-Vermieters Wework und des Unternehmens Brightspot Strategy, an der Büroangestellte aus USA, Kanada, Mexiko und Großbritannien teilnahmen sprachen sich 90 % der Befragten dafür aus, mindestens für einen Tag pro Woche ins Büro zurückkehren zu wollen. 20 % wollen für alle fünf Arbeitstage der Woche zurück ins Firmengebäude.

Ich vermute, dass diese Zahlen bei uns in Deutschland ähnlich sind.

Mein Fazit ist, dass Homeoffice, Zoom & Co. nicht mehr aus unserem global vernetzten Arbeitsalltag wegzudenken sind. In den allermeisten Bereichen ist dies sinnvoll und absolut berechtigt.

PHYSISCHES BEISAMMENSEIN EIN MUSS

 

Es gibt mittlerweile jede Menge fantastische Tools, um das analoge Miteinander ins digitale zu übertragen: Zoom, Teams, Conceptboard, Padlet oder wonder.me. — Oder auch Ideen, um die Beziehungsebene zu erhalten: Morgenrunden, virtuelle Mittagessen, gemeinsames Bier um vier vor dem Bildschirm oder eine Plätzchen-Challenge.

Nichtsdestotrotz ist und bleibt das physische Beisammensein ein Muss, damit gerade in einer Zeit mit derart vielen beruflichen wie privaten Unsicherheiten die einzelnen Teammitglieder handlungs- und arbeitsfähig bleiben.

In der digitalen Kommunikation gewinnt die psychosoziale Rolle des Moderators eine größere Bedeutung, darauf sollten sich alle Beteiligten einstellen.

Schließlich und endlich: Meiner Meinung nach ist Empathiefähigkeit derzeit mehr gefordert, denn je!

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